„Verkehrslokal der klassenbewussten Arbeiterschaft“
Die Restauration Heisterbacherhof
„Das einzige Bollwerk der politischen Freiheit des Proletariats, das ihm so leicht nicht konfisziert werden kann, ist das Wirtshaus.“(Karl Kautsky)
An einem Sonntag im Oktober 1928 begruben die Bonner Sozialdemokraten ihren Genossen Heinrich Mertens auf dem Alten Friedhof an der Bornheimerstraße. Zehn Tage zuvor, am 4. Oktober, hatte sich der Wirt des „Heisterbacherhofes“ am Grabe seiner Frau erschossen. Mit Heinrich Mertens starb der Wirt, der 25 Jahre zuvor, als die Bonner Arbeiterbewegung noch von der Polizei verfolgt und den Behörden schikaniert wurde, den Mut aufgebracht hatte, Gewerkschafter und Sozialdemokraten im „Heisterbacherhof“ aufzunehmen.
Heinrich Mertens wurde am 12. Juni 1866 in Bonn geboren.[1] Von Beruf Porzellanmaler übernahm er nach dem Tode seines Vaters Anton im Jahr 1896 die von diesem seit 1872 geführte Gaststätte „Heisterbacherhof“.[2] Mit der Übernahme des Lokals durch Heinrich Mertens begann die Geschichte des „Heisterbachehrhofes“ als Verkehrslokal der organisierten Bonner Arbeiterschaft.
Der „Heisterbacherhof“ lag unweit des Rheins, mitten in der Kuhle, an der Ecke Heisterbacherhofstraße Neustrasse. Die Kuhle, ein heruntergekommenes Viertel zwischen Theaterstraße, Sandkaule, Josefstraße und dem Rhein, war ein traditionelles Wohngebiet der Bonner Arbeiter, die hier in engen, ungesunden und überfüllten Wohnungen lebten. Niedrige Mieten und die Nähe zum Arbeitsplatz ließen viele Familien mit geringen Einkommen in die Kuhle ziehen.[3] Hier befanden sich die Wahlbezirke, in denen die Arbeiterparteien SPD und KPD während der Weimarer Republik ihre besten Ergebnisse erzielten. Hier tobten die heftigsten Straßenschlachten zwischen Anhängern der KPD und der NSDAP.[4] Aus der Kuhle und dem Kreis der sozialistischen Arbeiterbewegung kam die Mehrzahl, der sicherlich nicht sehr zahlungskräftigen Gäste, auf die sich das Geschäft des Heisterbacherhofes stützte.
Der Wunsch nach Geselligkeit und die katastrophalen Wohnverhältnisse führten dazu, dass die Kneipe zumindest für den männlichen Teil der Bewohner das Wohnzimmer ersetzte. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch die Tatsache, dass viele Bewohner der Kuhle vom Land nach Bonn gezogen und durch dörfliche Strukturen geprägt waren. Im Dorfleben hatte das Gasthaus neben der Kirche schon immer eine zentrale Stellung eingenommen. Im Wirtshaus trafen die Arbeiter ihresgleichen, konnten an der Theke oder am Stammtisch ohne die hierarchischen Beziehungen innerhalb des Betriebes über ihre Arbeit, Politik, Sport, und den neuesten Klatsch aus dem Viertel miteinander reden. Hier ergab sich eine Vielzahl sozialer Kontakte, die über Arbeitsplatz und Familie hinausreichten. Hier kamen die Gäste mit einer Vielzahl von Ideen, Meinungen und Erfahrungen in Berührung und hier konnten die Arbeiter sowohl ihre persönlichen wie politischen Hoffnungen zur Sprache bringen.
Für die sozialistische Arbeiterbewegung bildeten die Wirtshäuser und das gesellige Leben in ihnen, die Knotenpunkte im Netz der politischen Organisation. Karl Kautsky stellte 1890 fest, „dass unter den heutigen Verhältnissen Deutschlands das Wirtshaus das einzige Lokal ist, in dem die niederen Volksklassen zusammenkommen und ihre gemeinsamen Angelegenheiten besprechen können. Ohne Wirtshaus gibt es für den deutschen Proletarier nicht bloß kein geselliges, sondern auch kein politisches Leben.“[5]
Die Überlassung der Wirtschaft für Versammlungen der Arbeiterbewegung war im preußisch-deutschen Kaiserreich für den Wirt mit großen Risiken verbunden. So mussten Wirte in der Zeit des „Sozialistengesetzes“ mit Geldstrafen, Gefängnis, Ausweisung oder Verlust der Konzession rechnen, wenn sie der damals illegalen SPD ihre Räumlichkeiten überließen.
Von daher hatten auch die ersten Bonner Sozialdemokraten große Schwierigkeiten einen geeigneten Versammlungsort zu finden. So hielten die Mitglieder des im Herbst 1890 gegründeten sozialdemokratischen Vereins „Neue Zeit“, dem Vorläufer der Bonner SPD, ihre Zusammenkünfte in der Wirtschaft von Fischenich an der Sterntorbrücke ab. Aber bereits 1891 gestattete der Wirt die Versammlungen nicht mehr, nachdem dem Bonner Militär der Besuch seiner Gaststätte untersagt worden war.[6]
Erst als der Wirt Röttgen den Gewerkschaftern und Sozialdemokraten in seiner Gastwirtschaft die Möglichkeit zu Versammlungen bot, konnte die Sozialdemokratie in Bonn ihren Aufschwung fortsetzen. Wie im gesamten Kölner Regierungsbezirkes lässt sich in jener Zeit auch in Bonn deutlich die behördliche Strategie erkennen, in Frage kommende Lokalbesitzer durch verschärfte Kontrollen über Baugenehmigungen, Höchstpersonenzahlen, die ein Raum fassen kann u.ä.m. unter Druck zu setzen. Militärpersonen wurde der Besuch von Wirtschaften, die als Treffpunkt der Sozialdemokraten galten, verboten. Die Sozialdemokraten klagten ebenso oft über die katholische Kirche, die von sich aus einen entsprechenden Druck auf etliche Lokalbesitzer ausübte.[7]
Zudem drohte Ärger mit den politischen Gegnern der Genossen. Die Saalschlachten mit Zentrumsanhängern im Lokal Röttgen im Sommer 1892, bei denen die Einrichtung demoliert wurde, belegen dies auch für Bonn. Die Bedeutung, die ein der Arbeiterbewegung freundlich gesonnener Wirt für die organisierte Arbeiterschaft hatte, kann daher gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wo sich kein Wirt fand, der Räume für die verschiedenen Veranstaltungen der Sozialisten bereitstellte, kam die Arbeiterbewegung nicht voran. In Ermangelung anderer Räumlichkeiten wurde das Gasthaus daher zwangsläufig auch zum organisatorischen Mittelpunkt der Bewegung.
Für das Jahr 1897 wird dies besonders deutlich. In diesem Jahr konnten die Sozialdemokraten im gesamten Agitationsbezirk für die obere Rheinprovinz nur in sieben Orten Lokale für Versammlungen nutzen. Als im selben Jahr die Bonner Genossen ihren Treffpunkt im Lokal Röttgen verloren, musste der in Bonn geplante Parteitag nach Neuwied verlegt werden, da die Bonner keinen anderen Tagungsort finden konnten.[8]
Von 1891 bis 1897 trafen sich die Bonner Sozialdemokraten im Lokal Röttgen Ecke Maxstraße/Weiherstraße. Hier hielten die Genossen ihre Vorstands, Partei- und Gewerkschaftsversammlungen ab, feierten ihre Feste und das rege Arbeitervereinsleben hatte hier seinen unverzichtbaren Treffpunkt. Als 1897 die Bonner SPD diesen Versammlungsort verlor, geriet sie in eine schwere Krise, der Zusammenhalt konnte nur schwer aufrecht erhalten werden, das Parteileben kam völlig zum Erliegen.[9]
Dies änderte sich erst 1903 wieder, als der „Heisterbacherhof“ zum „Verkehrslokal“ der organisierten Bonner Arbeiterschaft wurde.[10] Seit dieser Zeit trafen sich die organisierten Schneider bei Heinrich Mertens und mit den Schneidern fasste auch die kleine Schar der Bonner Sozialdemokraten im Heisterbacherhof Fuß. Die Verbindung zwischen dem Wirt des Heisterbacherhofs und den Bonner Sozialdemokraten wurde aber noch enger. Heinrich Mertens wurde Mitglied der SPD.
Die enge Verbindung von Wirtshaus und Arbeiterbewegung hatte es mit sich gebracht, dass innerhalb der Arbeiterbewegung viele Wirte eine herausgehobene Stellung innehatten. So waren 1906 sechs von 81 sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten von Beruf Gastwirt. Der bekannteste war sicherlich Friedrich Ebert, der spätere Reichspräsident. In Bonn spielte Heinrich Mertens innerhalb der SPD keine herausragende Rolle. Sein Engagement ging aber doch soweit, dass er bereits vor dem 1. Weltkrieg bei den Stadtratswahlen für die Sozialdemokratie kandidierte und dies auch nach dem Krieg wieder tat. Ein Mandat konnte er allerdings nicht erringen.
Die Etablierung des „Heisterbacherhofes“ als Stammlokal der sozialistischen Arbeiterbewegung bot neben den Risiken aber auch wirtschaftliche Vorteile für Heinrich Mertens. Zum einen konnte er einen festen Kreis von Stammgästen gewinnen. Darüber hinaus versuchten die Bonner Arbeiterorganisationen ihre Mitglieder und Sympathisanten in die Kneipen zu dirigieren, die zum Milieu gehörten, d.h. für Bonn in den Heisterbacherhof. Von Vorteil war auch die Bewirtung der zahlreichen Versammlungen der verschiedenen Organisationen, die zur Arbeiterbewegung gehörten wie der Arbeitersängerbund oder die Arbeitersportvereine.[11] Die Benutzung der Versammlungsräume war umsonst, aber es bestand ein stillschweigender Trinkzwang. „Alkohol zu trinken, war deshalb eine faktische Voraussetzung für die Teilnahme an der sozialistischen Arbeiterbewegung. Nichtalkoholische Getränke waren nicht sehr verbreitet, und sie waren im allgemeinen teurer als Bier und Schnaps.“[12]
Bis zum Herbst 1907 blieb der „Heisterbacherhof“ der wichtigste Treffpunkt der sozialistischen Bonner Arbeiterbewegung, dann eröffnete das „Volkshaus“ der freien Gewerkschaften in der Sandkaule 13.[13] Hier entstand nun das Kommunikationszentrum der freien Gewerkschafter und Sozialdemokraten, wo sie ohne Verzehrzwang, auf den auch ein Wirt wie Heinrich Mertens bestehen musste, ihre Versammlungen abhalten konnten. Wenn auch die Gewerkschaften und andere Organisationen weiter kleinere Treffen und Sitzungen bei Mertens abhielten, so war die Eröffnung des Volkshauses geschäftlich sicherlich ein schwerer Rückschlag für den Heisterbacherhof.
Bei den Bonner Behörden der Kaiserzeit stand der „Heisterbacherhof“ in keinem guten Ruf. Als Heinrich Mertens am 7. April 1913 mit der Bitte um Genehmigung des Schalterausschankes, d.h. des Außerhausverkaufes von Bier und anderen Getränken, an den Stadtausschuß herantritt, werden routinemäßig Stellungnahmen zur Person und der „Bedürfnisfrage“ bei der Polizeibehörde eingeholt. Das zuständige Revier berichtet, über die Person des Antragstellers sei nichts Nachteiliges bekannt und außer drei geringfügigen Geldstrafen wegen Lotterievergehens liege nichts gegen Heinrich Mertens vor. Doch die Bedürfnisfrage verneinen die Beamten, denn der „Heisterbacherhof“ sei nur ein „Sammelpunkt für Bummler und Trunkenbolde.“[14]
Den in Bonn stationierten Soldaten war es bis 1918 untersagt die Wirtschaft von Heinrich Mertens zu betreten. Der Heisterbacherhof war die einzige Bonner Gastwirtschaft, deren Besuch den Soldaten - auf Befehl der Vorgesetzten – verboten war.[15]
In der Weimarer Republik wird der „Heisterbacherhof“ weiterhin von Sozialdemokraten besucht, aber auch Kommunisten treffen sich nun vermehrt im Lokal. In den Jahren 1924 – 1926 tagt die KPD öfter in den Räumen der Gaststätte. Aber erst ab März 1931 wird der Heisterbacherhof zum Verkehrslokal der KPD. Noch im Mai 1927 empfiehlt sich der "Heisterbacherhof" den Lesern der sozialdemokratischen „Rheinischen Zeitung“ als ältestes Verkehrslokal der Partei und der Freien Gewerkschaften.[16] Nach der 1. Mai Demonstration von 1927 feierte die SPD allerdings in der Phönixhalle, während sich die KPD bei Mertens traf.[17] Im Programmheft des von der KPD organisierten „Internationalen Kulturtreffens“ vom Ostermontag 1931 warb der Inhaber Genosse Niels Pedersen für die „Restauration Heisterbacherhof“, dem „Verkehrslokal der klassenbewußten Arbeiterschaft“.[18]
1922 trifft Heinrich Mertens mit dem Tod seiner Frau ein schwerer Schicksalsschlag. Von dieser Zeit an führen seine Tochter Gertrud und deren Mann Niels Pedersen die Gastwirtschaft. Pedersen, gebürtiger Däne, war nach Jahren der Wanderschaft, die ihn nach Berlin, Paris und in die Schweiz geführt hatte, im Sommer 1906 nach Bonn gekommen. Pedersen war ausgebildeter Schneider und seit 1903 Mitglied des dänischen freigewerkschaftlichen Fachvereins der Schneider. Diese Kombination führte ihn in Bonn automatisch in den „Heisterbacherhof“, wo sich die gewerkschaftlich organisierten Schneider trafen. Hier lernte er seine spätere Frau, die Wirtstochter Gertrud kennen. Beide heirateten 1909. Von 1917 – 1922 lebte die Familie Pedersen in Dänemark, wo Niels Pedersen als selbständiger Schneider arbeitete. 1922 nach dem Tode von Sibilla Mertens kehrt das Ehepaar Pedersen nach Bonn zurück und übernimmt die Führung der Gastwirtschaft von Heinrich Mertens, der allerdings weiterhin im Besitz der Schankerlaubnis bleibt. 1926 nimmt Pedersen die deutsche Staatsbürgerschaft an.1922 bis 1928 ist er Mitglied der SPD. Seit 1928 ist er Mitglied und Funktionär der KPD.[19]
Nach dem Tod von Heinrich Mertens am 4. Oktober 1928 bemüht sich Niels Pedersen um die Übertragung der Schanklizenz auf seinen Namen, was aber mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war. Zum einen machte die Baupolizei auf erhebliche Bauschäden am Haus aufmerksam und forderte deren Beseitigung. Zum anderen – sicherlich schwerwiegender - äußerte sich die Ortspolizeibehörde negativ über Pedersen, gegen den mehrere Strafverfahren anhängig seien. So sei gegen Pedersen ein Verfahren wegen Verletzung des Republikschutzgesetzes eingeleitet worden, weil er den Reichspräsidenten von Hindenburg beleidigt haben soll. Dieses Verfahren sei aber mangels an Beweisen eingestellt worden. Gegen die Übertragung spräche zudem, dass er nicht über die Wirtschaftsräume verfügen könne, da Heinrich Mertens seine Enkelkinder als Erben eingesetzt hätte. Die Ortspolizeibehörde sprach sich klar dafür aus, den Antrag abzulehnen, da Pedersen nicht geeignet sei die Wirtschaft zu führen und nicht über die Räume verfügen könne. Am 22. Januar 1929 lehnt der Stadtausschuß, der Argumentation folgend, das Gesuch von Niels Pedersen ab.[20]
Am 5. Dezember 1930 wendet sich Niels Pedersen erneut an den Stadtausschuß mit dem Antrag auf Übertragung der Konzession. Er hat inzwischen im Zwangsversteigerungsverfahren das Haus Heisterbacherhofstr. 10 nebst Wirtschaft erworben und weist noch einmal daraufhin, dass er die Wirtschaft für seinen verstorbenen Schwiegervater Heinrich Mertens ca. 8 Jahre lang geführt hat. Auf seiner Sitzung vom 6. Februar 1931 erteilt der Stadtausschuß Pedersen die Erlaubnis zum Betrieb der Schankwirtschaft mit „Ausschank von alkoholischen und alkoholfreien Getränken aller Art einschließlich Schalterausschank.“[21]
Wirtschaftlich werden die folgenden Jahre für Niels und Gertrud Pedersen kein Erfolg. So betreibt die Kreissparkasse Bonn 1934 die Zwangsversteigerung des Hauses Heisterbacherhofstr. 10. Aus Sicht der Bank war der Heisterbacherhof einzig „ein seit Jahren vernachlässigtes Gebäude, darin eine bisher angeblich nur von Kommunisten besuchte Wirtschaft geführt wird.“[22] Die Kreissparkasse befürchtet das Haus selbst erwerben zu müssen. Sie will dies aber nur tun, wenn die Konzession auf sie bzw. auf den von ihr zu benennenden Ersteher übertragen wird. Wegen des „schlechten Rufes“ des Lokals und des schlechten Gebäudezustandes, hat sie Bedenken, dass dies nicht geschehen könne. Da sie eine dahingehende Zusage nicht erlangen kann, bleibt der Kreissparkasse nichts anderes übrig, als die Geschäftsführung unter Pedersen zu belassen, weil sie mit dem Gebäude ohne Konzession nichts anzufangen weiß. Ab dieser Zeit steht das Haus Heisterbacherhofstraße 10 aber unter Zwangsverwaltung. 1940 kommt es doch noch zur Zwangsversteigerung, bei der die Stadt Bonn das Haus erwirbt.
Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten beginnen auch politisch schwere Zeiten für den „Heisterbacherhof“ und seine Wirtsfamilie. Die Wirtschaft ist bei den Nationalsozialisten natürlich als Verkehrslokal der KPD und Niels Pedersen als KPD-Mitglied bekannt. Dies hat zur Folge, dass er vom 14. März bis 4. Mai 1933 in „Schutzhaft“ genommen wird. 1934 wird Niels Pedersen ausgebürgert und damit staatenlos. Aus seiner politischen Überzeugung macht er auch in der Folgezeit gegenüber seinen Gästen kein Hehl. So weigert er sich 1937 anlässlich des Kreisparteitages der NSDAP die Hakenkreuzfahne herauszuhängen. Als sein Büfettier die Fahne heraushängen will, untersagt er dies mit den Worten: „Das kommt nicht in Frage; was soll die Nachbarschaft denken, wenn ich die Fahne aushänge“ und weiter „Solange ich Hauseigentümer bin, wird die Hakenkreuzfahne nicht gezeigt“. Kein Wunder bei der Nachbarschaft: Bei der Kommunalwahl 1933 kandidieren mit ihm auf der Liste der KPD drei Bewerber aus der unmittelbaren Nachbarschaft.[23] So sah die Nachbarschaft aus, der sich Niels Pedersen verbunden fühlte.[24] Dies konnte in der NS-Zeit nicht lange gut gehen. Niels Pedersen wird denunziert, verhaftet und wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens angeklagt. Am 2. November 1938 wird er gestützt auf die Aussagen von selbst dem Gericht dubios vorkommenden Zeugen zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Siegburg absitzen muss. In der Haft zerbrochen wird Niels Pedersen nach der Verbüßung seiner Strafe 1941 in die Heilanstalt Bonn eingeliefert, wo er am 20 Dezember 1941 stirbt.[25]
Bereits zwei Tage nach der Urteilsverkündung wendet sich die Gestapo telefonisch an die Stadt Bonn, um die Schließung des Heisterbacherhofes zu fordern. Mit Schreiben vom 5. November wird dieses Ansinnen unterstrichen. „Pedersen wurde am 2.11.1938 vom 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts in Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt. Ich bitte nunmehr P. die Wirtschaftskonzession zu entziehen und die Wirtschaft zu schließen. Die Ehefrau Pedersen bietet keinesfalls die Gewähr dafür, dass die Wirtschaft ordnungsmäßig weitergeführt wird. Sie war gleichfalls in das Verfahren verwickelt und duldete die Machenschaften ihres Ehemannes gegen den nationalsozialistischen Staat. Außerdem ist die Wirtschaft des P. ja hinreichend als früheres Verkehrslokal der KPD bekannt.“
Die Stadt reagiert prompt. Eine Aktennotiz unter dem Schreiben der Gestapo mit Datum des 7.11.38 hält fest: „Der Frau Pedersen ist die weitere Fortführung des Betriebes zu untersagen und ihr aufzugeben, den Betrieb sofort zu schließen. Wenn nötig, ist die Fortführung des Betriebes durch Versiegeln der Schankräume zu verhindern.“ Das Kommando der Schutzpolizei teilt noch am selben Tage mit: „Die Wirtschaft wurde sofort geschlossen. Überwachung wird vorgenommen.“[26] Gertrud Pedersen versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Sie beantragt die unbeschränkte Schankerlaubnis ihres Mannes auf sie zu übertragen. Aber vergeblich. Ihr Gesuch wird vom zuständigen Stadtverwaltungsgericht am 31. März 1939 abgelehnt. Dabei folgt es in seiner Begründung fast wörtlich der Stellungnahme des Bonner Oberbürgermeisters, der als Vertreter der Ortspolizeibehörde erklärt hatte: „Sie (Gertrud Petersen) ist im Gastwirtsgewerbe gross geworden und ist ihr aus diesem Grunde die fachliche Zuverlässigkeit ohne Weiteres zuzuerkennen. Ihre sonstige Zuverlässigkeit, insbesondere die auf politischem Gebiet, ist durch die Ereignisse der letzten Jahre in ihrer Gastwirtschaft, - speziell auch durch die in ihrer Familie, - erheblich in Frage gestellt. Die Wirtschaft würde nur eine Sammelstelle für Kommunisten werden. Ich bitte daher, den Antrag abzulehnen.“[27]
Das Ende des Heisterbacherhofes besiegelt der englische Bombenangriff vom 18. Oktober 1944. Wie fast die gesamte Kuhl wird der „Heisterbacher Hof“ dem Erdboden gleichgemacht.
[1] Meldekartei der Stadt Bonn, dort auch die weiteren biographischen Angaben.
[2] StA BN Pr 90/435, Seinem Gesuch die Schankerlaubnis von seinem Vater auf ihn zu überschreiben wurde vom zuständigen Stadtausschuß am 8. Oktober 1896 stattgegeben.
[3] Remig, Hans Dieter:: De Kuhl – das Arbeiterviertel von Alt-Bonn. In: 100 Jahr SPD in Bonn. Aufsätze zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Bonn. HG.: SPD-Unterbezirk Bonn. Bonn 1989 S. 26
[4] a.a.O., S.30-32 und S. 34
[5] Karl Kautsky: Der Alkoholismus und seine Bekämpfung, in: Die Neue Zeit 9/II (1890/91), S. 107, siehe auch, Mallmann, Klaus-Michael: Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung. Darmstadt 1996, S. 177, der die Bedeutung der Wirtschaften auch noch für die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts betont.
[6] Geheimbericht des Kölner Regierungspräsidenten an den Berliner Innenminister betreffend „ den Stand der socialdemokratischen Bewegung“ vom 31.3.1891 in Bers, Günter, Klöcker, Michael: Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung im Kölner Raum 1890-1895, Wentorf bei Hamburg 1976, S.17
[7] Bers, Günter, Michael Klöcker: Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung im Kölner Raum 1890 – 1895. Wentorf bei Hamburg 1976. S. 42/43
[8] Bericht des sozialdemokratischen Agitationskomitees für die obere Rheinprovinz über seine Tätigkeit vom 25. Februar bis 20. November 1897. in Bers, Günter (HG.): Die Sozialdemokratische Partei im Agitationsbezirk obere Rheinprovinz 1897 – 1918. Köln 1973, S. 9/10.
[9] Busemann, Wilfried: Die Nordstadt -SPD 1890 – 1918: Spurenlos. In : „... tranken dünnen Kaffee und aßen Platz dazu“, Leben in der Bonner Nordstadt, 1850-1990, hrsg. V. der Bonner Geschichtswerkstatt e.V. Bonn 1991, S. 29 – 36
[10] Rheinische Zeitung, 9.10.1928, S. 12, StA BN Pr 90/435, Schreiben von Niels Pedersen aus dem Zuchthaus Siegburg an das Stadtverwaltungsgericht Bonn v. 18.12.1938, dort der Hinweis, dass sich die freien Gewerkschaften schon in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts im Heisterbacherhof getroffen hätten.
[11] Im „Heisterbacherhof“ traf sich auch das 1905 gegründete Bonner Männerquartett. Jeden Montag probte der 140 Mann starke Chor in den Räumen der Gaststätte. Adressbuch der Stadt Bonn 1922, S.65.
[12] Roberts, James S., a.a.O. S.129
[13] Busemann, Wilfried, a.a.O., 31
[14] StA BN Pr 90/435, Dieser Auffassung schließt sich der Stadtausschuß erst einmal an und lehnt das Gesuch am 12.7.1913 ab. Erst auf den Widerspruch von Heinrich Mertens wird ihm eine Woche später doch noch die Erlaubnis zum Schalterausschank erteilt.
[15] Stadtarchiv Bonn, N 1985/1423 Aussage von Ferdi Kolb
[16] Rheinische Zeitung 28.5.27
[17] Stadtarchiv Bonn, P 22/10 Pol. Angelegenheiten/Streiks 1927-29
[18] STA BN I K 412
[19] Stadtarchiv Bonn N 1985/1031, Laut Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm gegen Niels Pedersen ist er von 1922 bis 1929/30 Mitglied der SPD und tritt 1931 der KPD bei
[20] StA BN Pr 90/435, Ob das offensichtlich gestörte Verhältnis von Heinrich Mertens auf der einen Seite und Niels und Gertrud Pedersen auf der anderen Seite neben privat persönlichen Gründen auch politisch gefärbt war – hier SPD dort KPD – muss ungeklärt bleiben.
[21] StA BN Pr 90/435
[22] StA BN Pr 90/435, Das Haus ist in den 30er Jahren in einem äußerst schlechten baulichen Zustand. Immer wieder gibt es Beschwerden von Mietern: Decke herunter gefallen, Aborte verwahrlost, Treppe schadhaft, Putz droht in den Innenhof zu fallen.
[23] Remig, a.a.O., S. 34
[24] Wie sehr die KPD die Kuhl und mit ihr die Heisterbacherhofstraße als ihr ureigenstes Terrain ansah belegt der Aufruf zur Maidemonstration 1927, in dem die Heisterbacherhofstraße zur Max-Hölz Straße umbenannt wird.
[25] Remig, a.a.O., S. 36, StA BN Pr 90/435
[26] StA BN Pr 90/435
[27] ebenda