Projekt Erster Weltkrieg

 

Am 22. Juni 2014 startet die Bonner Geschichtswerkstatt unter der Adresse www.bonn1914-1918.de ein Internetprojekt zum Ersten Weltkrieg. Kern des Projektes ist die Erstellung einer Chronik, die einen Einblick in den Bonner Alltag während des Großen Krieges geben soll. Wir wollen so zeigen, welche tiefgreifenden Auswirkungen das Kriegsgeschehen auf das tägliche Leben in unser Stadt hatte.

Für diese Chronik werten wir vornehmlich zeitgenössische Bonner Zeitungen aus, aber auch andere Quellen wie städtische Akten, Tagebücher und Briefe. Hundert Jahre nach den Geschehnissen stellen wir ab dem 1. August 2014 Tag für Tag Auszüge aus diesem Material ins Netz, so dass ein sich ständig erweiterndes Kalendarium entsteht.

Zur Einstimmung auf unser Projekt haben wir in den letzten Jahren Schauplätze des Krieges in Belgien und Frankreich besucht. Ein erster Reisebericht über unsere Exkursion an die Somme im Juni 2013 erscheint hier auf der GW-Website, die anderen Exkursionen werden wir noch ausführlich auf der Website www.bonn1914-1918.de dokumentieren.

 

La Somme – eine Rundfahrt der Erinnerung

Am 29. und 30. Juni 2013 unternahmen neun Mitglieder der Bonner Geschichtswerkstatt im Rahmen ihres Projekts „Erster Weltkrieg“ eine dritte Rundfahrt zu den Schlachtfeldern des Krieges. In diesem Jahr war die Somme unser Ziel, nachdem wir in den Jahren zuvor Flandern und die Region Verdun bereist hatten.

Unterwegs an der SommeBereits Anfang September 1914 waren deutsche Truppen in Frankreich bis über die Marne vorgedrungen. Nach der Schlacht an der Marne vom 5. bis zum 12. September wurden sie jedoch zum Rückzug hinter die Aisne gezwungen. Im November war der Krieg schließlich endgültig zu einem Stellungskrieg erstarrt. Die Frontlinie verlief nun von der Kanalküste zwischen Dünkirchen und Ostende westlich an Péronne an der Somme, nördlich bei Soissons an der Aisne und Reims vorbei und wandte sich hinter Verdun, das französisch blieb, durch die Vogesen nach Südosten bis an die Schweizer Grenze.

Das Rathaus von BapaumeEnde Juni 1916 begann die Somme-Offensive, die hauptsächlich von den Briten getragen wurde, unterstützt von Truppen aus dem gesamten britischen Empire. Das französische Heer war zum Teil durch die Verdun-Offensive gebunden, die bis Juli 1916 andauerte. Die deutschen Truppen wichen im Rahmen der „Operation Alberich“ im Frühjahr 1917 bis hinter die in den Monaten zuvor stark befestigte „Siegfried-Linie“ zurück und zerstörten während des Rückzugs planmäßig das geräumte Terrain.

Infolge der Entlastung durch den Frieden von Brest-Litowsk am 3. März 1918 fasste die deutsche Oberste Heeresleitung den Plan einer erneuten Offensive im Westen, in der Picardie, die tatsächlich Geländegewinne brachte, aber die alliierte Gegenoffensive, die am 18. Juli begann und in der Schlacht von Amiens vom 8. bis zum 11. August die endgültige Wende herbeiführte, zwang die deutschen Truppen zum Rückzug und schließlich zum Waffenstillstandsangebot.   

Britische SchlachtenbummlerFür den Krieg im Westen nimmt das Gebiet an der Somme somit eine ganz zentrale Stellung ein. Umso erstaunlicher war es für mich, zu sehen, dass im Vergleich zu Flandern und zu der Region um Verdun hier viel weniger an den Stellungskrieg mit seinen Schützengräben, an die enorme Zerstörung von Dörfern und Städten sowie an die hier ausgefochtenen Schlachten erinnert. Zwar trafen wir auch hier auf Besuchergruppen, die die zentralen Erinnerungsorte aufsuchten, aber mit dem battlefield tourism, wie wir ihn vor allem aus Flandern kannten, war das nicht vergleichbar. Insofern empfand zumindest ich nicht die Betroffenheit, die insbesondere die Gedenkstätten (z.B. das Beinhaus), die Friedhöfe, die Überreste der einstigen Dörfer, die rekonstruierten Schützengräben usw. in der Region um Verdun bei mir ausgelöst hatten. Möglicherweise hat auch die Tatsache, dass mein Großvater bei Verdun vermisst wurde, eine Rolle gespielt.

Gedenktafel am Rathaus von BapauneUnsere erste Station war Bapaume. Eine Tafel am Rathaus erinnert daran, dass dieses Gebäude durch eine versteckte und verzögerte Sprengladung (a booby trap) zerstört wurde, die die Deutschen vor ihrem Rückzug angebracht hatten. Sie ging in die Luft, als britische Offiziere hier ihren Sieg feierten. Die Namen der Getöteten sind aufgeführt und stehen damit für die Folgen der Politik der verbrannten Erde, die im Rahmen der „Operation Alberich“  systematisch praktiziert wurde. Wie viele andere wurde auch dieser Ort beim Rückzug auf die „Siegfried-Linie“ komplett zerstört und erst nach dem Krieg wieder aufgebaut.

Südafrikanische Gedenkstätte in LonguevalDie zweite Station war Longueval. Vom 14. bis zum 20. Juli 1916 hielt die 1. Südafrikanische Infantrie Brigade mit 121 Offizieren und 3.032 anderen Rängen den Delville Wood gegen die überlegenen Deutschen. Am Ende überlebten 2 Offiziere und 140 gemeine Soldaten. Ein Denkmal und ein Museum erinnern an diese Schlacht (Weitere Infos unter www.delvillewood.com).

Das Memorial vonl ThiepvalThiepval, das wir im Anschluss besuchten, gilt einerseits als Dreh- und Angelpunkt der deutschen Verteidigung. Hier steht aber auch das weltweit größte britische Kriegerdenkmal mit den Namen von 73.000 britischen Soldaten, die keinen individuellen Grabstein bekommen haben. Vor dem monumentalen Denkmal erstreckt sich ein viergeteiltes Gräberfeld mit weißen Grabsteinen. Auffällig ist auch hier – vergleichbar mit den Friedhöfen in der Region Verdun -, dass die Gräber der alliierten Soldaten in der Regel sehr gepflegt und  mit Blumen bepflanzt sind, während die deutschen Soldatenfriedhöfe mit ihren dunklen Kreuzen ohne Blumenschmuck sehr viel düsterer und abweisender wirken. Die Ausstellung im Besucherzentrum informiert über den Kriegsverlauf und insbesondere die Offensive von 1916.

Spuren der Kämpfe in Beaumont-HamelBei Beaumont-Hamel befindet sich die offizielle Gedenkstätte Neufundlands. Sie umfasst ein großes Areal, für dessen Pflege und Erhaltung die kanadische Regierung verantwortlich ist. Überragt wird sie von einem Karibou auf einem Felssockel, an dem eine Gedenktafel an die  insgesamt 820 im Krieg vermissten Neufundländer erinnert. (Der Kariboukopf war das Verbandabzeichen des Regiments während des Ersten Weltkriegs.)  Hier an diesem Ort erlitt das neufundländische Bataillon am 1. Juli Verluste von 684 Mann, was 70 % der Gesamtstärke entsprach. Beim Gang durch das Gelände passierten wir ein Netzwerk von noch erkennbaren, aber nicht rekonstruierten Schützengräben, die nur einige hundert Meter entfernt von der deutschen Stellung lagen, sowie Reste von Tunneln, den Hawthorn-Minenkrater, einige kleinere Friedhöfe und das Denkmal der 51. Highland Division - „A Scotsman in his kilt“ -, die ganz in der Nähe eingesetzt war.

Der Lochnagar-Krater bei La BoisselleDie vorletzte Station am ersten Tag unserer Exkursion war der Lochnagar Minenkrater von La Boisselle. Am Morgen des 1. Juli 1916 wurden in der ganzen Region Sprengstoffexplosionen ausgelöst, um den Beginn der alliierten Offensive zu signalisieren. Der La Boisselle Minenkrater ist der größte, bis heute sichtbare Krater des Krieges, verursacht durch die Zündung von 27 Tonnen Ammoniak, die in ein Tunnelsystem unter der deutschen Stellung eingebracht worden waren. Dieser Krater gilt als eine Ikone der Somme-Schlacht, und jeden 1. Juli wird in einer Zeremonie um 7.28 Uhr, dem Zeitpunkt der Sprengung, dieses Ereignisses gedacht.

Unser Besuch an diesem denkwürdigen Ort fand zwei Tage vor der alljährlichen Gedenkfeier statt. Ein  Brite sprach uns an, stellte sich als Richard Dunning vor und fragte nach unseren Motiven für diesen Besuch. Er bedauerte, dass so wenige Deutsche an diesen Ort kämen. Als Eigentümer des Grundstücks berichtete er über seine Pläne, ein Arboretum am Kraterrand anzulegen, in dem für jedes am Krieg beteiligte Land ein typischer Baum gepflanzt werden solle. Welches denn ein typisch deutscher Baum sei? Die Eiche – the oak! Geht nicht, meinte er, der sein schon für Großbritannien vorgesehen. Es gab nun einige andere Vorschläge von unserer Seite: die Rotbuche, ein Apfelbaum. Die Linde, fiel mir ein, als er schon abfahrbereit im Auto saß, allerdings nicht die englische Übersetzung – die kam mir erst später in den Sinn: the lime! Die Linde sei auch Gegenstand einiger Volkslieder, sei der Mittelpunkt vieler Dorfplätze gewesen. Das fand er interessant.

Im Gespräch mit Richard DunningVorher hatte er uns noch über ein weiteres Projekt für das Jahr 2014 informiert. Anlässlich des 100. Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs wolle er eine „charity“ ins Leben rufen mit dem längerfristigen Ziel, einen Fond zu schaffen, um mit diesen Mitteln 5.000 kranken Kindern die notwendige medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Die Zahl 5.000 stünde für die Zahl der Soldaten, die an diesem Ort ums Lebens gekommen seien. Auf diese Weise sollte nicht nur bedürftigen Kindern geholfen werden; gleichzeitig sollten die Toten vor dem Vergessen bewahrt und geehrt werden. Die „charity“ solle dementsprechend den Namen

Lochnagar
‚Remembrance for Life’
Honoring the dead by healing the living

tragen.

Wir versicherten, dass wir per Mail in Kontakt bleiben würden (Website: www.lochnagarcrater.org).

Auf der Fahrt nach Amiens fuhren wir durch die Kleinstadt Albert. Hier besichtigten wir allerdings nicht das Museum „Somme 1916“, das sich in einem Tunnel unter der Erde befindet und das Leben der Soldaten in den Schützengräben veranschaulicht; vielmehr streiften wir den Ort lediglich, der bereits 1914 von den Deutschen bombardiert wurde. Im Januar 1915 traf eine Granate die Kirchenglocke und brachte die Marienfigur auf dem Dach ins Wanken. Bis Kriegende hing sie im rechten Winkel waagerecht von der Kirchenspitze in die Luft – ein Symbol für die Zerstörung durch die Deutschen!  

Die Fassade der Kathedrale von Amiens am AbendWir übernachteten in Amiens und erlebten bei Dunkelheit die Illuminierung der gotischen Kathedrale. In einer Lasershow, untermalt mit Text und Musik, wird die Kirche in Farbe getaucht und erscheint so bunt, wie sie es vor Jahrhunderten wahrscheinlich auch einmal war. Ich fand das ganz eindrucksvoll, aber ohne Farbe gefällt mir die Fassade besser!

Blick über die australische Gedenkstätte von Villers-BretonneuxDer Sonntag begann mit einer Besichtigung des „Memorial National Australien“ bei Villers-Bretonneux. Nach dem Dardanellenfeldzug gegen die Türkei im Jahr 1915 waren australische Einheiten bei allen Operationen an der Westfront dabei. Bei Villers-Bretonneux hielten sie am 25. April 1918 den deutschen Vormarsch Richtung Amiens auf. Mit dem Eintrag ihrer Namen am Monument werden 11.000 australische Soldaten geehrt, die in Frankreich fielen, aber kein individuelles Grab bekommen haben. Das weithin sichtbare Monument steht auf dem Hügel 104 (Website zu den Australiern an der Somme: www.museeaustralien.com).

Deutscher Soldatenfriedhof bei Bray-sur-SommeWir machten Halt an einem deutschen Soldatenfriedhof  in Bray-sur-Somme. Wie bereits erwähnt, sind die deutschen Soldatenfriedhöfe – nicht nur an der Somme – sehr viel unauffälliger und wirken mit den schwarzen Kreuzen, auf denen bis zu vier Namen stehen, fast abweisend. Es fehlt jegliche Bepflanzung mit Blumen, die den Gräberfeldern der Alliierten so etwas wie Lieblichkeit verleihen. Die steht allerdings in Kontrast zu der Brutalität und Grausamkeit des Krieges, der für all diese Toten verantwortlich ist.

Blick auf das Tal der SommeDieser Kontrast ist ohnehin allgegenwärtig: Die leicht hügelige Landschaft der Picardie mit den leuchtend roten Mohnfeldern lässt die Verheerung durch den Krieg und den Schrecken der Schlachten nicht im Mindesten erahnen. Vom Aussichtspunkt „Belvedere de Vaux“ aus bekamen wir einen Eindruck von der mäandernen Somme und ihren Nebenarmen und hatten einen weiten Blick in die Region, die mit der Schönheit ihrer Landschaft in erster Linie um Erholung suchende Touristen wirbt und weniger um battlefield tourists.

Eingang zum Historial von PeronneDas nächste Ziel war die Kleinstadt Péronne, die 1914 von den Deutschen besetzt und bis März 1917 widerstandslos von britischen Truppen eingenommen wurde. Ein Jahr später wurde der Ort wieder von den Deutschen besetzt; am 8. August 1918 startete eine Gegenoffensive. Australische Truppen eroberten Péronne bis zum 2. September gegen heftigen Widerstand zurück. Péronne wurde vollständig zerstört und nach dem Krieg wieder aufgebaut. Heute beherbergt der Ort ein viel gerühmtes und modernst ausgestattetes „Historial de la Grande Guerre“, das die Geschichte des Krieges thematisch geordnet behandelt. Es gibt einen Raum zur Vorgeschichte, in dem bereits das Ordnungsprinzip eingeführt wird: In den Vitrinen an den Wänden gibt es übereinander angeordnet eine deutsche, eine französische und eine britische Abteilung sowie Monitore, auf denen historisches Filmmaterial gezeigt wird. Karten auf Bodenpodesten veranschaulichen die geografische Vorkriegssituation; über Audioguide bekommt der Besucher zusätzliche Informationen.

Bodenvitrine im Museum von PeronneIm Hauptraum sind Vitrinen in den Boden versenkt, in denen – den Krieg als solchen thematisierend – beispielsweise die Uniformen der verschiedenen Nationen, die Nachrichtentechnik, die Waffensysteme vorgestellt werden, während die Exponate in den Vitrinen an den Wänden vor allem den Einfluss des Krieges auf das alltägliche Leben „an der Heimatfront“ veranschaulichen. Der letzte Raum beschäftigt sich mit der Nachkriegszeit.

Für mich war diese Art der Präsentation des Krieges nicht immer überzeugend. Die Auswahl der Objekte erschien mir zum Teil beliebig, die Menge der Monitore, meist übereinander angeordnet und verschiedene Filmausschnitte zeigend, brachte für mich eine große Unruhe in die Präsentation, das Kriegsende kam unerwartet plötzlich. Nicht alle meine Kollegen teilen dieses Urteil. Gelobt wurden der alltagsgeschichtliche Ansatz und die Abkehr von der rein französischen Perspektive, die in anderen Museen, z.B. in Verdun, dominant ist. Der Krieg werde in Péronne stattdessen parallel aus der Sicht der beteiligten Nationen – der Franzosen, Deutschen und Briten - dargestellt (Ausführliche Website – zum Teil auch auf deutsch – unter: www.historial.org).

Der französische Friedhof von RancourtEinen letzten Stopp vor der Heimreise machten wir in Rancourt, der größten französischen Nekropole an der Somme mit ihren 8.566 Grabsteine; es gibt hier außerdem einen englischen und einen deutschen Friedhof, auch das einzigartig. Der deutsche Friedhof liegt allerdings doch nicht in unmittelbarer Nähe. Vor dem Friedhof haben die Eltern des gefallenen Soldaten Jean de Bos zum Andenken an ihren Sohn eine Kapelle errichten lassen.

Was für mich den Unterschied zu anderen Orten wie Flandern und Verdun ausmacht, habe ich bereits beschrieben. Das Besondere an der Region Somme ist indes, dass hier sichtbar wird, wie durch die Größe des britischen Empire nahezu Soldaten der ganzen Welt am Krieg in Europa beteiligt waren und gestorben sind.  

Sabine Harling