Bonn 1948/49:

Alltag vor hoher Politik

Vom 8. Mai bis zum 28. Juni 1999 hat die Bonner Geschichtswerkstatt aus Anlaß des 50. Jahrestagestages des Beschlusses des Parlamentarischen Rates, Bonn zum vorläufigen Sitz von Regierung und Parlament zu erklären, gemeinsam mit dem Bonner StadtMuseum eine Ausstellung erarbeitet, die vornehmlich den Alltag der Bonnerinnen und Bonner vor dem Hintergrund dieses für die weitere Entwicklung der Stadt so entscheidenden Beschlusses dokumentieren sollte.

Einführung

Ab Spätsommer 1948 zeichnete sich mit der Erarbeitung einer Verfassung die Gründung der Bundesrepublik Deutschland ab. Als Tagungsort des Parlamentarischen Rates ist Bonn mit dieser Entwicklung eng verbunden. Vor dem Hintergrund der großen politischen Ereignisse möchte die Ausstellung Einblicke in das Leben der Bonner Bevölkerung geben: Sie zeigt Aspekte des Alltagslebens und soziale Probleme, die die Kriegsfolgen mit sich brachten. Sie schildert die kleinen Vergnügungen, die die Menschen von Sorgen und Nöten ablenkte. Sie gibt Aufschluß über den beginnenden wirtschaftlichen Wiederaufschwung nach der Währungsreform. Schließlich versucht sie auch nachzuzeichnen, wie die Bonner und Bonnerinnen die herausragenden politischen Veränderungen, die sich in ihrer Stadt ereigneten, wahrnahmen.

Dabei sind die Jahre 1948/1949 geistig-politisch wie wirtschaftlich Wendejahre: Während die konkreten Kriegsfolgen zwar noch nicht beseitigt sind, aber zunehmend in den Hintergrund gedrängt werden, konsoldierte sich der konservative "Adenauerstaat". Vorboten einer wirtschaftlich prosperierenden Bundesrepublik der 50er Jahren sind schon erkennbar.

Wir danken für die freundliche Unterstützung:

  • Hans Beck,
     
    Klaus Euenheim,
     
    Edi Grommes,
     
    Anneliese Heimann,
     
    Hans Höfs,
     
    Eva Lückerath,
     
    Felix Marx,
     
    Hermann Nettersheim,
     
    Nöh ????,
     
    Isolde Rosenau,
     
    Karl-Heinz Schmitt,
     
    Manfred Schmadtke,
     
    Schöler ???,
     
    Heinrich Schöpe,
     
    Maria Schröder,
     
    Hedi Schultze-Rhonhof,
     
    Eva Wrede.
     
    Bonner Fahnenfabrik,
     
    Friedrich-Ebert-Stiftung,
     
    General-Anzeiger,
     
    Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
     
    Medienzentrum der Stadt Bonn,
     
    Firma Moeller,
     
    Sparkasse Bonn,
     
    Stadtarchiv Bonn,
     
    Verein An der Synagoge.
     

Zeittafel 1948/49

16.8.1948 Bonn zum Sitz des Parlamentarischen Rates bestimmt.
1.9.1948 Eröffnungssitzung des Parlamentarischen Rates im Museum König.
21.9.1948 Gedenkfeier zur Grundsteinlegung eines Mahnmals für die Opfer des Faschismus.
26.10.1948 Wahl des Stadtverordneten Dr. Peter Stockhausen (CDU) zum Oberbürgermeister der Stadt Bonn.
22.2.1949 Ehrenbürger der Stadt Bonn Monsignore Ehrendechant Johannes Hinsenkamp gestorben.
10.5.1949 Parlamentarischer Rat bestimmt Bonn zum vorläufigen Bundessitz.
6.9.1949 Sender Bonn aus dem Venusberg in Betrieb genommen.
7.9.1949 Konstituierung des ersten deutschen Bundestages.
10.9.1949 Richtfest der neuen Rheinbrücke.
12.9.1949 Der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Professor Dr. Theodor Heuss, spricht von der Treppe des Bonner Rathauses zur Bevölkerung.
15.9.1949 Generalmusikdirektor Otto Volkmann übernimmt die Leitung des Musiklebens der Stadt Bonn.
3.11.1949 Der Bundestag bestimmt Bonn als Bundeshauptstadt.
4.11.1949 Wiederwahl des Oberbürgermeisters Dr. Peter Stockhausen.
12.11.1949 Feierliche Einweihung und Verkehrsübergabe der Rheinbrücke.
26.11.1949 Eröffnung des neuen Theaters im Bonner Bürgerverein.
12.12.1949 Eröffnung der neuen Universitätsklinik auf dem Venusberg.
22.12.1949 Einweihung und Verkehrsübergabe der Viktoriabrücke.

(aus dem Verwaltungsbericht der Stadt Bonn 1945 bis 1950, Bonn 1951)

Soziale Folgen des Krieges

Während Bonn sich auf die Rolle als Hauptstadt der neuen Bundesrepublik vorbereitete, litt ein Großteil der Bevölkerung not. Besonders schwierig war die Lebenssituation der Flüchtlinge, Kriegsversehrten und ehemaligen Kriegsgefangenen. Viele dieser Menschen waren auf Unterstützung angewiesen. Die städtischen Behörden sahen sich verpflichtet, hier helfend einzugreifen: z.B. erhielten 1948/49 über 7.000 Flüchtlinge und 1.800 Schwerkriegsbeschädigte Zuschüsse zum Lebensunterhalt. Beihilfen und andere Vergünstigungen wurden auch den fast 600 ehemaligen Kriegsgefangenen zuteil, die 1949 nach Bonn heimkehrten. Probleme der Integration prägten die Gesellschaft noch jahrelang.

Schwierige Lebensverhältnisse

Bis zur Währungsreform am 20. Juni 1948 herrschte in Bonn Mangel auf allen Gebieten - auch bei der Versorgung mit Lebensmitteln. Vieles war bis dahin nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich gewesen. Mit der neuen Währung normalisierte sich auch die Lage auf dem Lebensmittelmarkt, jedoch waren etliche Produkte für den "Normalverbraucher" unerschwinglich. Care-Pakete und Schulspeisungen waren für die Versorgung vieler Bedürftiger noch immer notwendig. Manche Lebensmittel wie z.B. Eier gab es immer noch auf Bezugsschein. Das dringendste Problem war aber der Mangel an Wohnraum. Zu der ohnehin großen Zahl ausgebombter Bonner kam eine steigende Zahl von Flüchtlingen, die oft von den Einheimischen als unerwünschte Konkurrenz empfunden wurde.

NS-Verfolgte

In den Jahren 1948/49 beschäftigte die NS-Zeit die Bonner noch ganz konkret: "Wiedergutmachung", "Rückerstattung", Entnazifizierung und Prozesse gegen NS-Verbrecher waren heftig diskutierte Themen. Während in den nächsten Jahren die Entschädigung von bestimmten NS-Verfolgten auf eine klare gesetzliche Grundlage gestellt wurde, konnten NS-Täter in immer stärkeren Maße von Amnestien profitieren. In den Jahren 1948 bis 1950 sah Bonn drei Großveranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des NS-Regimes. Vor dem Hintergrund des "Kalten Krieges" geriet die größte Verfolgtenorganisation, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) wegen des Vorwurfs, sie sei eine kommunistische Tarnorganisation, ins politische Abseits.

... und NS-Täter

Die Jahre 1948/49 stellten den Höhepunkt der juristischen Auseinandersetzung mit den Bonner NS-Tätern dar. Die Synagogenbrandstifter, der "Gestapo-Chef" Müller und der NSDAP-Kreisleiter Eichler wurden zur Verantwortung gezogen. Insgesamt kam es aber nur zu wenigen Prozessen gegen die Verantwortlichen, und auch die flächendeckende Entnazifizierung, die 1945/46 begonnen hatte, verlief im Sande.

Kommunalwahl 1948

Bis zur Kommunalwahl im Oktober 1948 bestimmte die CDU mit ihrer absoluten Mehrheit die Geschicke der Stadt. In vielen Bereichen gab es durchaus eine fruchtbare Zusammenarbeit mit anderen Parteien. Die Besetzung der Entnazifizierungsausschüsse, das drohende Haushaltsdefizit der Stadt Bonn und die Ernährungsnot führten zu Konflikten zwischen CDU und SPD. Einigkeit demonstrierten die Parteien - bis auf die KPD - in einem Punkt: Sie plädierten alle für Bonn als Bundeshauptstadt. Das Wahlergebnis stellte eine herbe Enttäuschung für die CDU dar: Sie war nunmehr auf einen Koalitionspartner angewiesen. Die Hoffnungen der SPD, als "Partei der sozialen Tat" eben diese Funktion zu übernehmen, zerschlugen sich. In Bonn etablierte sich eine CDU/FDP-Koalition, die in den folgenden Jahren die Kommunalpolitik bestimmte.

Bonn wird Hauptstadt

Die feierliche Eröffnung des Parlamentarischen Rates im Museum Koenig fand unter lebhafter Anteilnahme der Bonner und Bonnerinnen statt. Die Arbeitssitzungen der Parlamentarier in der ehemaligen Pädagogischen Akademie wurden dagegen in weiten Teilen der Bevölkerung kaum wahrgenommen. Die Menschen hatten mit den Problemen des Alltags zu kämpfen; die "große Politik" kümmerte sie wenig. Die Aussicht, daß ihre Stadt zukünftiger Regierungssitz werden könnte, erfüllte sie jedoch mit Stolz. Zudem erhoffte man sich dadurch eine weitere Belebung der Bonner Wirtschaft. Der Optimismus überwog; nur wenige befürchteten Preissteigerungen und eine Verschärfung der bestehenden Wohnungsnot. Die großen politischen Entscheidungen des Jahres 1949 wurden in der Bevölkerung gebührend gefeiert: Schon fühlte man sich als "richtiger Hauptstädter".

Wirtschaft und Arbeit

In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte die Bonner Wirtschaft darunter gelitten, daß Rohstoffe rar und Absatzmärkte knapp waren. Darüber hinaus war sie starker Reglementierung durch die britische Besatzungsbehörde ausgesetzt. Erst nach der Währungsreform setzte auch in Bonn ein Aufschwung ein, von dem viele Betriebe profitierten. Die Stadt Bonn gründete ein Amt für Wirtschaftsförderung, um so den Aufbau und die Neugründung von Firmen zu fördern. Die Entwicklung Bonns zur Bundeshauptstadt gab weitere Impulse. Dennoch verringerten sich die Arbeitslosenzahlen nur allmählich; 1949 schwankten sie im Arbeitsamtsbezirk Bonn zwischen 3 und 5,4 Prozent.

Wiederaufbau

Mit der Beseitigung der immensen Kriegsschäden in Bonn war schon bald nach Kriegsende begonnen worden, doch erst nach der Währungsreform kam der Wiederaufbau richtig in Schwung. Die weitgehende Zerstörung der Altstadt gab der Stadtverwaltung die Möglichkeit, alte Pläne zur Neugestaltung zu verwirklichen. Die Schaffung zentraler Verkehrsachsen in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung durch das bis dahin mittelalterlich verwinkelte Bonn und die Höherlegung der regelmäßig vom Hochwasser betroffenen Rheinviertel waren hier die augenfälligsten Maßnahmen. Durch den Bundessitzbeschluß wurde der "hauptstadtgerechte" Ausbau Bonns weiter forciert. Doch es sollte noch bis in die sechziger Jahre dauern, bis alle Kriegsschäden beseitigt waren.

Städtischer Wohnungsbau

Nach starken Kriegszerstörungen war in Bonn 1945 nur noch die Hälfte aller Wohnungen nutzbar. Für betroffene Bonner Familien und Flüchtlinge wurden primitivste Notwohnungen in Bunkern und Barackenlagern eingerichtet. Bald nach der Währungsreform begann im November 1948 das erste städtische Wohnungsbauprojekt. Es war Ausdruck der wirtschaftlich schwierigen Nachkriegszeit, daß man zunächst eine Kleinsiedlung errichtete, die Vogelsiedlung im Tannenbusch. Mit Wirtschaftsraum, Kleintierstall und dem großen Nutzgarten waren diese Häuser für Selbstversorger konzipiert.

Wohnungsbau des Bundes

Im Wettlauf um den Sitz der Bundesregierung versuchten Bonn und Frankfurt am Main die Entscheidung durch Neubauten zu ihren Gunsten zu beeinflussen. In Bonn fehlte es an Wohnraum für die Bundesbediensteten. So begann die Stadt bereits im Oktober 1948 mit den Planungen für die erste Bundessiedlung an der Reuterstraße. Für den Entwurf der Reutersiedlung wurde der bekannte Berliner Architekt Max Taut gewonnen. Die Baumaßnahmen begannen mit der Wahl Bonns zum vorläufigen Bundessitz im Mai 1949. Der Plan des Städtebauers Otto Ernst Schweizer für eine großzügige moderne Verwaltungs- und Wohnstadt südöstlich des Bundeshauses wurde nie realisiert.

Die neue Bonner Rheinbrücke

Als am 26. Oktober 1949 erstmals die neue Bonner Rheinbrücke für den Fußgängerverkehr geöffnet wurde, hatten die Bonner 1691 Tage ohne Brücke gelebt. Damit ging eine Zeit zu Ende, in der die Überfahrt per Bötchen, wenn überhaupt möglich, fast eine halbe Stunde dauerte.
Als Zeichen des wiedererwachenden Selbstbewußtseins prangte das Bonner Stadtwappen stolz an der neuen Brücke, die für ca. 20 Millionen DM gebaut worden war. Schneller als geplant war seit der Grundsteinlegung im März 1949 eine Brücke entstanden, die zwar nicht an das Kunstwerk der alten Rheinbrücke heranreichte, aber doch ganz dem Stil der aufziehenden Moderne entsprach: Mit einer Breite von 18 Metern hoffte man den Verkehr selbst dann noch spielend zu bewältigen, wenn Bonn Bundeshauptstadt werden sollte.

Sport

Das sportliche Leben hatte schon bald nach Kriegsende wieder begonnen. Sportvereine waren unter den ersten, die von den Besatzungsmächten die Lizenz zur Betätigung erhalten hatten. Ihre Aktivitäten litten jedoch darunter, daß viele Sportstätten zerstört, andere von den Alliierten beschlagnahmt waren. Fußballveranstaltungen lockten Tausende von Besuchern an - vor allem, wenn die Lokalvereine BFV und Tura (die sich später zum BSC zusammenschließen sollten), Godesberger FV oder Beuel 06 gegeneinander spielten. Großer Beliebtheit beim Publikum erfreute sich auch der Radsport - sowohl Straßenrennen wie auch Kunstradfahren, das der Endenicher Edi Grommes als mehrfacher Deutscher Meister dominierte. Seit September 1948 fanden im wiederhergestellten Poststadion Bahnrennen statt, denen oft mehr als 10.000 begeisterte Zuschauer beiwohnten.

Kultur

Der "Kulturboom" der ersten Nachkriegsjahre - zu erklären durch den großen Nachholbedarf nach den Jahren des Krieges - war 1948 bereits wieder abgeklungen. Für viele war die neue harte Währung zu wertvoll, als daß man sie für kulturelle Veranstaltung leichtfertig ausgeben wollte. Die Bühnen der Stadt Bonn verzeichneten in den Jahren 1948/49 einen stetigen Rückgang der Besucherzahlen. Bis zum Dezember 1949 fanden die meisten Aufführungen in der Clara-Schumann-Schule statt; erst dann konnte dieses Provisorium zugunsten eines im Bonner Bürgerverein eingerichteten Theatersaals aufgegeben werden. Musikveranstaltungen jeder Art fanden überwiegend im Metropol-Theater statt. Ungebrochen war die Begeisterung des Bonner Publikums für das Kino: In fast allen Stadtteilen entstanden neue Lichtspielhäuser, und Bonn galt "filmfreudigste Stadt Deutschlands" (Bonner Rundschau).

Karneval

Die Karnevalssession 1947/48 war noch ausschließlich vom Stadtsoldaten-Corps - 1872 gegründet - bestritten worden. Nach dem Krieg waren seine Aktivitäten zunächst verboten gewesen, weil das Corps wegen seiner Uniformen und der militärisch klingenden Formationen der Militärregierung suspekt erschien. Die offizielle Zulassung wurde am 31. Oktober 1947 erteilt, und so konnte am 11.11. der erste "Nachkriegsappell" stattfinden.
Während Karneval in dieser Session fast ausschließlich in Sälen gefeiert wurde, gingen die Bonner und Bonnerinnen im Februar 1949 wieder auf die Straße. Im Dezember 1948 hatte der Vaterstädtische Verein - 1933 gegründet - seine Funktion als Dachorganisation, als Festausschuß, im Karneval wieder aufgenommen und neben anderen Aktivitäten für den Rosenmontag einen Zug organisiert, der - da Prinz und Bonna aus Kostengründen fehlten - Kappenfahrt genannt wurde.