„Ihr weiterer Aufenthalt im Reichsgebiet ist unerwünscht.“

Schicksale Beueler Juden und Jüdinnen

Der 31. Mai 1932 war ein Fest für die Anwohner der Beueler oberen Wilhelmstraße. An diesem Tag feierte hier das Ehepaar Moses und Regina Behr gemeinsam mit Verwandten, Freunden und Nachbarn seine goldene Hochzeit. In der regionalen Presse wurde das Ereignis ausführlich gewürdigt. „Die Bürgerschaft nahm an dem Fest regen Anteil. Schöner Grün- und Flaggenschmuck der Nachbarschaft gaben dem Jubelhaus nach außen hin das nötige Festgepräge. Am Vorabend fand durch den Ortsverband, namentlich aber auch durch den Kameradschaftlichen Verein, der durch die Bonner Feuerwehrkapelle eine Serenade darbringen ließ, eine Ehrung des Jubelpaares statt. Der dem Ortsverband angeschlossene MGV 'Concordia' umrahmte die Feierstunde durch ansprechende Lieder. Für den Ortsverband sprach der Vorsitzende Herr Simons und für den Kameradschaftlichen Verein Herr Peter Schäfer. Am Jubeltage selbst übermittelte die Gemeinde Beuel ihre Glückwünsche durch den 1. Beigeordneten Herrn Karnatz, der bei dieser Gelegenheit eine Ehrengabe überreichte.“ (GA 1.6.32) Die „Beueler Zeitung“ würdigte besonders Moses Behr, den Abkömmling einer alteingesessenen jüdischen Beueler Familie, als Veteranen der Kriege von 1866 und 1870/71 und vergaß nicht auf die „Fülle von Blumen und sonstigen Aufmerksamkeiten“ hinzuweisen, die „von der Achtung und Beliebtheit (zeugten), deren sich das Jubelpaar in der Bürgerschaft erfreut.“ (BeZ 1.6.32)

Sicherlich war das Maß an Sympathie, das die Eheleute Behr bei vielen Beuelern genossen, außergewöhnlich groß. Dabei mag auch das Mitgefühl der Nachbarn mit den familiären Problemen der beiden alten Leuten eine Rolle gespielt haben. Dennoch kann man dieses Ereignis als ein Indiz für den Umgang ansehen, der noch 1932 zwischen Juden und Nichtjuden üblich war.

Zu diesem Zeitpunkt wohnten etwa 140 Juden in der Gemeinde Beuel, eine verschwindend kleine Minderheit von kaum 0,7% der Gesamtbevölkerung (zur Geschichte der jüdischen Gemeinde ausführlich: Johannes Bücher). Die meisten von ihnen arbeiteten im Kleingewerbe; die Berufe Händler und Metzger waren traditionell besonders stark vertreten. Viele der jüdischen Familien lebten hier seit Generationen; das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden war meist ein gutnachbarschaftliches. Allerdings war dieses Verhältnis eher ein Nebeneinander als ein Miteinander. Echte Freundschaften zwischen Juden und Christen gab es kaum, Eheschließungen noch seltener. Zwischen beiden Gruppen blieb eine Distanz bestehen. In den Augen der Mehrheit waren die „Jüdde“ nun einmal Außenseiter. Aber dies galt damals auch - vielleicht sogar in noch stärkerem Maße - für die wenigen Protestanten in Beuel.

Der Antisemitismus spielte in Beuel anfangs politisch keinerlei Rolle. Vorfälle mit diesem Hintergrund (Anpöbeleien, Grabschändungen) waren äußerst selten. Als im August 1922 der Beueler Gemeinderat davon Kenntnis erhielt, dass sich ein Ratsmitglied in einem privaten Gespräch antisemitisch geäußert hatte, verurteilten dies Sprecher aller Fraktionen und stellten fest, dass in Beuel für Antisemitismus kein Platz sei.

Mit dem verstärkten Auftreten der Nationalsozialisten in Beuel seit etwa 1929 sollte sich das bald ändern. Anfangs beschränkten diese sich gegenüber den jüdischen Bürgern noch auf Anpöbeleien, Schmieraktionen und das Einschlagen von Schaufensterscheiben. Nach der Machtübernahme Anfang 1933 begann auch in Beuel die systematische Judenverfolgung. Der Antisemitismus, im demokratischen Staat zumindest offiziell geächtet, war nun zur Staatsideologie geworden.

Wie überall in Deutschland vollzog sich die Ausgrenzung und Entrechtung auch der Beueler Juden in kleinen Schritten. Eine Vielzahl von neuen Verordnungen und Gesetzen diskriminierte sie und schränkte immer mehr ihre Existenzmöglichkeiten ein. Viele erkannten bald, dass sie als Juden in Deutschland keine Zukunft haben würden und verließen ihre Heimat. Die Mehrzahl der Beueler Juden - unter ihnen besonders die älteren - hoffte aber auf bessere Zeiten und wollte auf keinen Fall den Ort verlassen, an dem ihre Familien z.T. seit mehr als hundert Jahren ansässig waren. Am Vorabend der „Reichskristallnacht“ lebten noch etwa 100 Juden in Beuel, die meisten von ihnen ältere Menschen.

Gestützt auf einen Staatsapparat, der als williges Ausführungsorgan alle antijüdischen Maßnahmen der Nazis umsetzte, hatten diese lange Zeit weitgehend auf die Anwendung direkter Gewalt gegen Juden verzichtet. Das Ziel eines „judenfreien“ Deutschlands war aber trotz aller Schikanen nicht erreicht worden. Der Pogrom vom November 1938 markiert den Beginn einer neuen, auf offenen Terror setzenden Phase nationalsozialistischer Vertreibungspolitik. Wie fast überall im Reich wurde auch die Beueler Synagoge am Morgen des 10.11. in Brand gesteckt. Der Umstand, dass es hier - anders als in den meisten rheinischen Städten - einheimische SA- und SS-Männer waren, die angeführt von ihrem Ortsgruppenleiter und einem Beueler Fabrikanten ihr schändliches Werk verrichteten, sollte nicht überbewertet werden. Die Mehrheit der Beueler Bevölkerung reagierte auf das Geschehen mit Entsetzen und Empörung, verhielt sich aber passiv und beteiligte sich weder an den Ausschreitungen, noch stellte sie sich ihnen entgegen.

Das sechs Jahre zuvor von der Beueler Bürgerschaft gefeierte Ehepaar Moses und Regina Behr hat diese Ereignisse nicht mehr miterleben müssen. Wenige Wochen zuvor starb der fast 97jährige Moses Behr in seinem Beueler Haus; seine Frau war bereits im Vorjahr verschieden.

Die Ereignisse vom November lösten auch in Beuel eine regelrechte Fluchtwelle aus. Nunmehr versuchte fast jeder ins Ausland zu entkommen. Doch das war nicht einfach, denn Asylbewerber waren damals genauso wenig beliebt wie heute, und die ihnen offenkundig drohenden Gefahren für Leib und Leben änderten nichts an der restriktiven Aufnahmepolitik der potentiellen Aufnahmestaaten. Hinzu kam, dass die meisten Beueler Juden inzwischen weitgehend mittellos waren und nicht über die Beziehungen ins Ausland verfügten, die für eine schnelle Ausreise notwendig waren. Trotz aller Schwierigkeiten gelang es 22 Beueler Juden, in der Zeit zwischen Pogromnacht und Kriegsbeginn zu emigrieren.

Seit dem September 1939 war es für die Juden kaum mehr möglich, Deutschland zu verlassen. Ihre Situation verschlechterte sich rapide, da sich nun die Reichsregierung von jeglicher Rücksichtnahme auf die internationale Meinung befreit sah. Die deutsche Judenpolitik wurde im Verlaufe des Krieges zunehmend von denjenigen Kräften bestimmt, für die die „Endlösung der Judenfrage“ nur im millionenfachen Massenmord liegen konnte.

In Beuel lebten zu Beginn des Krieges noch etwa 75 Juden. Ihre Lage wurde von Monat zu Monat immer verzweifelter. Die jahrelange antisemitische Propaganda und die antijüdische Gesetzgebung hatten auch in Beuel den gewünschten Effekt erzielt: Die Juden waren inzwischen fast völlig aus dem Leben der Gemeinde ausgegrenzt. Viele hatten ihre Wohnungen räumen müssen und waren in die Häuser anderer Juden, sogenannte „Judenhäuser“, gezogen, wo sie beengt und isoliert von ihren früheren Nachbarn ihr Leben fristen mussten. Juden durften nur in bestimmten Geschäften und zu bestimmten Zeiten einkaufen. Für sie galt Ausgangssperre nach Einbruch der Dunkelheit. Es war ihnen untersagt, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Jüdische Schüler wurden von den allgemeinen Schulen ausgeschlossen (In Beuel gab es allerdings inzwischen kaum noch ein halbes Dutzend schulpflichtiger Kinder.). Alle diese Maßnahmen zielten darauf, eine immer größere Kluft zwischen Juden und Nichtjuden aufzubauen. Parolen wie „Die Juden sind unser Unglück!“ oder „Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!“, die den Bürgern von den gleichgeschalteten Medien ständig eingebleut wurden, hatten auch bei manchen Beuelern ihre Wirkung nicht verfehlt. Umgekehrt gingen auch viele Juden auf Distanz zu früheren Bekannten, wollten sie diesen doch keine Schwierigkeiten machen und sie der Gefahr aussetzen, von Denunzianten als „Judenknechte“ angeschwärzt zu werden. Trotz allem gab es aber etliche Beueler und vor allem Beuelerinnen, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten bemühten, ihren jüdischen Mitbürgern beizustehen, indem sie ihnen Nahrungsmittel zukommen ließen oder einfach nur ein freundliches Wort an sie richteten. Allerdings gab es auch in Beuel Menschen - nicht nur Nationalsozialisten -, die sich am Elend der Juden bereicherten und gegen billiges Geld deren Besitz erwarben.

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 begann auch in Beuel die Endphase der Judenverfolgung. Ab August wurden sämtliche Beueler Juden zwangsweise in das ehemalige Endenicher Kloster „Zur ewigen Anbetung“ eingewiesen, in dem bereits die Juden aus der Stadt Bonn interniert waren. Ausgenommen von dieser Maßnahme wurden nur die wenigen Juden, die durch Ehe mit einem Nichtjuden vorläufig geschützt waren; ansonsten mussten alle anderen Beuel für immer verlassen. Von ihnen war die fünfjährige Ruth Fanny Kaufmann die jüngste, der 84jährige Lambert Weidenbaum der älteste; die meisten (fast zwei Drittel) waren älter als 50 Jahre. In Kloster waren sie auf engstem Raum zusammengepfercht, bekamen nur mangelhafte Verpflegung und mussten - sofern sie arbeitsfähig waren - Zwangsarbeit verrichten.

Endenich sollte nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtung sein. Vom 14.6.42 an begannen die Behörden mit der Räumung des Sammellagers. In mehreren Transporten wurden bis zum 27.7. sämtliche der hier internierten Juden - unter ihnen 55 Beueler und Beuelerinnen - über den Bahnhof Köln-Deutz in den Osten deportiert. Von den Beueler Juden kamen 17 zunächst ins Konzentrationslager Theresienstadt, für 23 sollte der Bestimmungsort das Ghetto Lodz sein, und 15 wurden nach Minsk verschleppt. Aus Endenich wurden insgesamt 466 Juden deportiert; von ihnen überlebten lediglich neun - unter ihnen möglicherweise eine Beuelerin - den Holocaust.

Im Anhang seines Buches über die Beueler jüdische Gemeinde führt Johannes Bücher namentlich 140 Juden und Jüdinnen auf, die Anfang 1933 in Beuel gelebt haben, sowie weitere 22, die danach zugezogen sind. Von diesen 162 Personen sind 24 noch in Deutschland vor der Deportation verstorben. 52 gingen in die Emigration oder wurden ausgewiesen; von ihnen fanden mindestens 7 den Tod, nachdem ihre Zufluchtsländer von der Wehrmacht besetzt wurden. 20 haben vor Beginn der Deportationen das Gebiet der heutigen Stadt Bonn verlassen und sind innerhalb Deutschlands verzogen. 55 wurden über Endenich in die Vernichtungslager Osteuropas deportiert. Von 11 ist nicht bekannt, wann und mit welchem Ziel sie Beuel bzw. Bonn verlassen haben. Nach vorliegenden gesicherten Erkenntnissen sind mindestens 74 Beueler Juden und Jüdinnen aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung umgekommen, 35 konnten sich durch die Emigration retten, und drei kehrten aus den Lagern zurück. Über die Schicksale von 26 Personen liegen keine Informationen vor; es muss aber angenommen werden, dass viele von ihnen ebenfalls dem Holocaust zum Opfer gefallen sind.

Diese nüchternen Zahlen sagen nur wenig aus über die Menschen und ihre Schicksale. Im folgenden soll - soweit es die wenigen überlieferten Informationen zulassen - versucht werden, vier Lebensläufe nachzuzeichnen. An diesen Beispielen wird deutlich, welch furchtbare Folgen die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland für jeden einzelnen Juden und jede einzelne Jüdin hatte.

 

Scheco Dronk, geb. Moschkowiatsch

Scheco Dronk, am 17. August 1889 in dem damals noch zum Zarenreich gehörenden Warschau geboren, war die Ehefrau des Schreiners und Holzbildhauers Hermann (Hersch) Dronk. Dieser war während des Ersten Weltkrieges als Facharbeiter von den Deutschen angeworben worden und nach Beuel gekommen, um für die dortige Möbelfabrik zu arbeiten. Nach Kriegsende folgte Frau Dronk mit dem 1912 geborenen Sohn Gimeck ihrem Mann nach Beuel. Dort kam 1920 der zweite Sohn Samuel zur Welt. Die Familie wohnte zunächst in der Wilhelmstraße, später zog sie in die Bonner (heute Rheindorfer) Straße.

Die wirtschaftlichen Krisen der Zwischenkriegszeit trafen die Möbelindustrie besonders hart, und so kam es, dass Hermann Dronk mehrmals arbeitslos wurde. Wollte die Familie in solchen Situationen staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, so riskierte sie, ihr Bleiberecht in Deutschland zu verlieren. Denn das Ehepaar Dronk und seine Söhne galten als polnische Staatsbürger, obgleich sie praktisch niemals in diesem Staat gelebt hatten, und konnten als solche jederzeit ausgewiesen werden, wenn sie dem deutschen Staat „zur Last“ fielen.

Angesichts der doppelten Bedrohung durch Armut und Abschiebung erkrankte Sabina Dronk psychisch. Am 31.8.27 wurde sie in die „Rheinische Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bonn“ eingeliefert, wo die Ärzte „paranoide Psychose“ diagnostizierten. Sie blieb fast zwei Jahre in der Anstalt und wurde im Mai 1929 - offenbar als geheilt - entlassen. Die nächsten 20 Monate lebte sie wieder bei ihrer Familie - allerdings ohne den jüngsten Sohn, der sich während dieser Zeit im jüdischen Kinderheim in Köln aufhielt.

Vermutlich wurde Hermann Dronk im Oktober 1930 - die Beueler Möbelfabrik hatte wieder einmal den Betrieb eingestellt - erneut arbeitslos, denn 1931 wurde auf Antrag des Beueler Wohlfahrtsamtes ein Ausweisungsverfahren gegen die Familie eröffnet. Zudem musste die Familie ihre Wohnung in der Bonner Straße aufgeben und in die Vilicher Barackensiedlung übersiedeln. Aufs neue trat bei Frau Dronk die Krankheit auf; am 10.1.31 brachte man sie wieder in die Bonner Klinik, in der sie nun die nächsten sieben Jahre verbringen sollte.

Das Ausweisungsverfahren gegen Familie Dronk blieb vorläufig ohne Ergebnis, da die polnische Regierung nicht bereit war, sie in Polen aufzunehmen. Daran sollte sich zunächst auch nichts ändern, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Nach Angaben des Landrates vom April 1934 schwebte das Ausweisungsverfahren weiterhin als Drohung über der Familie Dronk. Gimeck Dronk, der älteste Sohn der Familie, sah für sich keine Zukunft in Deutschland und emigrierte mit dem Ziel Palästina, nachdem er 1936 eine landwirtschaftliche Ausbildung in Urfeld bei Wesseling absolviert hatte. Als Ende Oktober 1938 die Reichsregierung infolge eines Streites mit Polen 17.000 Juden polnischer Nationalität aus Deutschland auswies, gehörten auch Hermann und Samuel Dronk zu denjenigen, die in einer Nacht- und Nebelaktion festgenommen und über die Grenze abgeschoben wurden. Über ihr weiteres Schicksal in Polen ist nichts bekannt.

Die Ausweisungsverfügung galt auch für Sabina Dronk, die sich nach den Angaben in der Patientenkartei bis zum 20.12.38 in der Provinzialanstalt Bonn aufhielt und danach in die Anstalt Bedburg-Hau bei Düsseldorf verlegt wurde. Nach einem Vermerk in der Meldekartei der Beueler Polizeibehörde vom 26.3.41 soll sie sich aber bereits seit dem 20.8.38 in Bedburg-Hau befunden haben. Offensichtlich wurden die Behörden erst im Juli 1939 darauf aufmerksam, dass die Ausweisungsverfügung gegen Frau Dronk noch immer nicht vollzogen worden war. Nach Angaben aus Bedburg-Hau war ihr Gesundheitszustand so schlecht, dass eine Entlassung aus der Anstalt nicht in Frage kam. Der Landrat forderte daraufhin die Beueler Polizeibehörde auf, Maßnahmen mit dem Ziel einer zwangsweisen Abschiebung einzuleiten. Diese Behörde fühlte sich nun aber nicht mehr in dieser Sache zuständig, da Frau Dronk nicht mehr im Beueler Ortsbereich wohnhaft war.

Scheco Dronk blieb also weiterhin in Bedburg-Hau. Am 4.11.39 wurde sie nach Wunstorf bei Hannover verlegt. Von dort aus ist sie am 27.9.40 an einen unbekannten Ort gebracht worden. Es muss angenommen werden, dass sie im Zuge des zu dieser Zeit anlaufenden „Euthanasie“-Programms, als dessen Folge u.a. die in den Anstalten untergebrachten jüdischen Patienten und Patientinnen systematisch umgebracht wurden, ermordet worden ist.

 

Max Goldreich

Max (Moses Aron) Goldreich stammte ursprünglich aus Galizien, wo er am 9. Januar 1875 als habsburgischer Untertan geboren wurde. Um die Jahrhundertwende war er nach Köln gekommen und hatte in zweiter Ehe Sidonie Mendel aus Wuppertal-Elberfeld geheiratet. Mit den beiden Kindern aus dieser Ehe, Edith und Theodor, kam das Ehepaar Goldreich im Juni 1912 nach Beuel, wo Max Goldreich die Leitung der neugegründeten Bonn-Beueler Möbelfabrik übernehmen sollte. Goldreich hatte zusammen mit seinem Schwager Emanuel Mendel die in Konkurs gegangene Firma Kunstgewerbliche Holzindustrie an der Nordstraße (heute Auguststraße) erworben.

Der Betrieb, der anfangs etwa 45 Arbeiter beschäftigte, lief zunächst gut an, doch der Beginn des Ersten Weltkrieges stoppte diese Entwicklung: Ein Großteil der Arbeiter wurde einberufen, und das Werk musste wegen Arbeitskräftemangels vorübergehend stillgelegt werden. Goldreich bemühte sich sofort um Ersatz. Seit 1915 beschäftigte er Kriegsgefangene aus dem Lager Wahn. Da dies aber nicht den Mangel an Facharbeitern beseitigen konnte, beschloss er, gegen alle Widerstände Schreiner aus den von der deutschen Armee besetzten Gebieten Osteuropas zu holen. Berichten zufolge war er selbst in Warschau und warb dort einige Dutzend Holzfacharbeiter - fast alle Juden - an. Die meisten der Angeworbenen verließen nach Kriegsende wieder Deutschland, einige blieben aber und machten sich - meist in Bonn - als Schreiner selbständig.

Max Goldreich war ein gläubiger Jude. Er engagierte sich sehr aktiv in der Beueler Synagogengemeinde und wurde dort bald zu deren Vorsitzendem gewählt. Religiös war er konservativ orientiert. Der liberalen Bonner Gemeinde warf er in einem offenen Brief (abgedruckt im Gemeindeblatt der Bonner Synagogengemeinde vom Dezember 1929) religiöse Indifferenz vor und beklagte, „dass wir nur noch von Antisemitismus Gnaden Juden sind“.

In seiner Funktion als Vorsitzender der Synagogengemeinde war Goldreich mehrfach Mitglied in Ausschüssen des Beueler Gemeinderates. So saß er 1919 in der Kommission für Kriegsgefangenenheimkehr, 1926 in der Wohlfahrtskommission. Darüber hinaus zählte er zu den wenigen Beueler Juden, die sich aktiv politisch betätigten. Bei den Gemeinderatswahlen im April 1924 unterstützte er die Kommunale Arbeitsgemeinschaft, eine der Demokratischen Partei nahestehende Liste. Goldreich gehörte zu der kleine Gruppe von Juden im Bonner Raum, die mit den Vorstellungen des Zionismus sympathisierten.

Johannes Bücher, der mit Goldreich aufgrund seiner Tätigkeit bei der Gemeindeverwaltung auch dienstlich zu tun hatte, nennt ihn noch heute einen „Seigneur im besten Sinne des Wortes“. Doch Goldreich hatte nicht nur Freunde in Beuel. Als sich der Gemeinderat im Sommer 1920 mit sieben Anträgen auf Einbürgerung - darunter auch dem von Goldreich - beschäftigte, wurden schließlich sechs Anträge gebilligt - aber nicht der seinige. Die Gründe dafür sind den überlieferten Akten leider nicht zu entnehmen. Aufgrund einer Weisung des preußischen Innenministers erhielt Goldreich schließlich 1921 die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die Weltwirtschaftskrise traf Goldreich und sein Unternehmen - es hieß inzwischen Rheinische AG für Holzverarbeitung - besonders hart. Zudem war mit der Germania-Möbelfabrik in unmittelbarer Nachbarschaft ein Konkurrenzbetrieb entstanden. Goldreich musste schließlich Anfang der dreißiger Jahre Konkurs erklären. Sein direkt neben dem Rathausgarten gelegenes Haus, das er 1920 vom ehemaligen Bürgermeister Breuer erworben hatte, musste er verkaufen. Familie Goldreich zog daraufhin 1933 nach Bonn.

Max Goldreich gehörte zu den wenigen Beueler Juden, die gleich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme erkannten, dass es in Deutschland für einen Juden keine Zukunft geben sollte. Mitte 1934 emigrierte er mit seiner Frau und seinem Sohn Theodor sowie dessen Familie nach Palästina. Nach einem Bericht des deutschen Konsulats in Palästina hielt sich die Familie Ende 1936 in Jerusalem auf. Max Goldreich und seinen Angehörigen wurde im Dezember 1937 auf Weisung des Kölner Regierungspräsidenten die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Begründet wurde dies mit dessen „wirtschaftsschädigendem Verhalten“: Einer der von Goldreich während des Ersten Weltkrieges angeworbenen polnischen Arbeiter sei wegen Arbeitslosigkeit jahrelang der Wohlfahrt zur Last gefallen, ohne dass Goldreich dies verhindert habe.

Max Goldreich hatte sich mit einem Teil seiner Familie rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Seine Tochter Edith, verheiratet mit dem Beueler Kaufmann Max Herz, war in Beuel geblieben. Zusammen mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter Ruth wurde sie über das Endenicher Kloster im Juli 1942 nach Minsk in Weißrussland deportiert und ist dort verschollen.

 

Edith Sternschein, geb. Schubach

Edith Sternschein wurde am 15. April 1908 in Beuel als Tochter von Moritz und Rosa Schubach geboren. Moritz Schubach betrieb in der Marienstr. 21 eine gutgehende Metzgerei. Das Ehepaar Schubach stammte zwar nicht aus Beuel, es war erst 1902 zugezogen, wurde aber schnell von den Einheimischen als ihresgleichen akzeptiert. Die Metzgerei Schubach galt so sehr als alteingesessenes Beueler Geschäft, dass die Nationalsozialisten sich den für sie peinlichen Fehler erlaubten, in einer gegen die Juden gerichteten Beilage zum Westdeutscher Beobachter vom 25. April 1935 auch Moritz Schubach in das Verzeichnis „arischer Handwerksmeister“ aufzunehmen.

Edith Schubach heiratete am 23. März 1932 den in Dresden geborenen Kaufmann Julius Sternschein. Mit ihm zog sie im Juni 1932 nach Halberstadt, wo im Februar 1933 der gemeinsame Sohn Horst Michael geboren wurde. Doch schon im Juni des gleichen Jahres kehrte sie allein mit ihrem kleinen Jungen nach Beuel in ihr Elternhaus zurück. Scheinbar war Julius Sternschein, der anfangs als staatenlos, später als polnischer Staatsangehöriger bezeichnet wurde, unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme aus Deutschland emigriert. Als seine Ehefrau hatte Edith Sternschein nach den damals geltenden Gesetzen ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren und galt bei den deutschen Behörden ebenfalls als Polin. Sie musste daher im November 1933 in Beuel für sich und ihren Sohn eine förmliche Aufenthaltserlaubnis beantragen. Als Grund für ihren Antrag gab sie an, dass sie von ihrem Mann, dessen Aufenthaltsort ihr unbekannt sei, getrennt lebe und sie sich auf Dauer wieder in Beuel niederlassen wolle.

Julius Sternschein war nach seiner Ausreise aus Deutschland auf bislang unbekannte Weise nach Spanien gelangt. In Barcelona hatte er sich mit einer Leihbücherei eine neue Existenz aufgebaut. Am 23.10.1935 verließen Edith und Horst Sternschein Beuel und reisten nach Barcelona. Sicherheitshalber ließ sich Frau Sternschein im Beueler Rathaus einen Vermerk in ihren Pass eintragen, dass sie „zur einmaligen Wiedereinreise in das Reichsgebiet mit der Gültigkeitsdauer bis zum 3.9.1936“ berechtigt sei.

In Barcelona wurde Familie Sternschein erneut ein Opfer der politischen Verhältnisse: Im Juli 1936 putschten rechtsgerichtete Militärs gegen die Republik und stürzten das Land in einen mehrjährigen blutigen Bürgerkrieg. In Barcelona kam es zu tagelangen heftigen Kämpfen, die mit einer vorläufigen Niederlage der Putschisten endeten. Angesichts dieser Situation beschloss Familie Sternschein, dass Mutter und Sohn vorläufig nach Beuel zurückkehren und dort die weitere Entwicklung abwarten sollten.

Am 11. August 36 reisten Edith und Horst Sternschein wieder in Deutschland ein und nahmen erneut ihren Aufenthalt im Hause des Ehepaares Schubach. Doch schon bald wurde die Kölner Gestapo auf die beiden aufmerksam und verlangte in einem Schreiben vom 21. September 1936 an Bürgermeister Hausmann die sofortige Ausweisung von Frau Sternschein. Gemäß eines Erlasses der Gestapo vom 21.3.35 bezüglich der Rückkehr von Emigranten hätte sie ohnehin nicht wiedereinreisen dürfen. Obwohl die Beueler Behörde darauf hinwies, dass die Wiedereinreise aufgrund gültiger Papiere erfolgt sei und Moritz Schubach für den Lebensunterhalt der Tochter sorge, blieb die Gestapo hart und bestand auf sofortiger Ausweisung. Edith Sternschein wurde am 2. November 1936 auf Erlas des Kölner Regierungspräsidenten ausgewiesen mit der lapidaren Begründung: „Ihr weiterer Aufenthalt im Reichsgebiet ist unerwünscht. Hiernach ist Ihre Ausweisung gerechtfertigt.“ Auf dem Beueler Rathaus händigte man ihr am 24. November 1936 einen Reisepass aus, doch Schwierigkeiten, ein Visum für das von Bürgerkrieg und ausländischer Intervention heimgesuchte Spanien zu erhalten, verzögerten die Abreise bis Ende Dezember. Am 28.12. teilte Edith Sternschein der Beueler Polizeibehörde durch eine Postkarte aus Paris mit, dass sie das Reichsgebiet verlassen habe.

Der damals 31/2jährige Horst blieb zunächst bei seinen Großeltern Moritz und Rosa Schubach. Nach Angaben der Beueler Polizei hielt er sich während der Reichspogromnacht dort auf. In Haus Marienstr. 21 wohnten seit Januar 1939 auch noch Frau Schubachs Schwester Elise und deren Ehemann Max Vasen. Außerdem hatte hier das befreundete Ehepaar Rosenthal zeitweise Aufenthalt gefunden. Im August 1941 mussten die Eheleute Schubach ihr Haus räumen und ins Kloster Endenich ziehen. Von dort aus wurden sie ein Jahr später in den Osten (angeblich nach Lodz) deportiert und sind dort verschollen.

Ihr Enkel Horst hat spätestens im August 1941 Beuel verlassen und ist zu seinen Eltern gereist. Diese hielten sich inzwischen im damaligen Jugoslawien, vermutlich in Split an der Adriaküste auf. Wie sie dort hingekommen sind, ist nicht bekannt. Margot Weil, eine als Emigrantin in Paris lebende Jugendfreundin von Edith Sternschein, hatte diese dort nach deren Ausweisung aus Beuel wiedergetroffen. Auch Julius Sternschein war offenbar noch vor seiner Frau nach Paris gekommen. Nachdem das Ehepaar Sternschein zu einem unbekannten Zeitpunkt Frankreich verlassen hatte, hielten die beiden Freundinnen den Kontakt auf brieflichen Wege aufrecht. Frau Weil besitzt noch zwei Fotos, die ihr Edith Sternschein aus Jugoslawien zugeschickt hat. Das erste stammt aus dem Jahre 1940 und zeigt sie in dem Badeort Makarska bei Split. Auf dem zweiten Foto ist sie gemeinsam mit ihrem Sohn zu sehen. Dieses Foto wurde im Mai 1942 in Split aufgenommen. Es ist das letzte Lebenszeichen, das wir von Edith Sternschein besitzen.

Split und ein Teil der dalmatinischen Küste waren damals von Italien militärisch besetzt. Die Italiener lehnten die von ihren deutschen Verbündeten praktizierten antijüdischen Maßnahmen entschieden ab und weigerten sich beharrlich, solche in ihrem Herrschaftsbereich zuzulassen. Die Familie Sternschein konnte sich also unter italienischem Schutz relativ sicher fühlen, während gleichzeitig fast überall in Europa die Judenverfolgung ihren blutigen Höhepunkt erlebte. Im September 1943 jedoch, nachdem Italien das Bündnis mit den Deutschen beendet hatte, besetzte die Wehrmacht die vorher italienisch kontrollierten Gebiete Jugoslawiens. Alle dort lebenden Juden, die den Deutschen oder deren kroatischen Vasallen in die Hände fielen, wurden umgebracht oder in ein Vernichtungslager deportiert.

Es ist nicht bekannt, was mit Edith und Julius Sternschein geschehen ist. Ihr Sohn Horst Michael aber überstand den Holocaust und lebt heute in Israel.

 

Dr. med. Max Weis

Es gibt kaum eine Beueler Persönlichkeit der Vorkriegszeit, die sich noch heute bei ihren Mitbürgern einer so großen Beliebtheit und Achtung erfreut wie der Arzt Dr. Max Weis. Der Mediziner, am 4. Mai 1881 im bayrischen Windsheim geboren, kam 1906 als junger Arzt von Köln nach Beuel, wo er in der Friedrichstraße - zuerst im Haus Nr. 12, ab 1912 im Haus Nr. 10 (heute Friedrich-Breuer-Str. 34) eine Praxis eröffnete. Schon bald hatte er sich bei seinen Patienten einen sehr guten Ruf erworben: Er galt zum einen als moderner und kompetenter Arzt, zum anderen als selbstloser Helfer in der Not, der in seiner Funktion als Beueler Armenarzt notfalls auf sein Honorar verzichtete und Kranken die Heilmittel sogar kostenlos zur Verfügung stellte. Seine Großzügigkeit gegenüber mittellosen Beuelern und Beuelerinnen konnte sich Dr. Weis leisten, da er über eine gutgehende Praxis verfügte und auch von zahlreichen wohlhabenden Patienten konsultiert wurde.

Schon bald nachdem er sich in Beuel niedergelassen hatte, heiratete Dr. Weis die aus Meckenheim gebürtige Bella Mendel. Aus der Ehe ging der 1908 in Beuel geborene Sohn Hans Kurt hervor, der später ebenso wie der Vater Medizin studieren und Arzt werden sollte.

Während des Ersten Weltkrieges leitete Dr. Weis als Stabsarzt das im Adelhaidisstift Vilich untergebrachte „Reserve-Hilfs-Lazarett“. Zudem engagierte er sich mit anderen Beueler Ärzten bei der Freiwilligen Sanitätskolonne des deutschen Roten Kreuzes. Während nach dem Krieg andere Mitglieder der Sanitätskolonne mit der Roten-Kreuz-Medaille ausgezeichnet wurden, ging Dr. Weis leer aus; den Grund dafür sieht die Bonner SPD-Zeitung in ihrem Artikel „Der Jude bekommt keine Medaillen“ (RhV 15.6.21) im Antisemitismus.

Dr. Weis engagierte sich in der Gemeinde Beuel nicht nur als Wohltäter: Als Vertreter der liberalen Demokratischen Partei (DDP) und der später daraus hervorgegangenen Kommunalpolitischen Arbeitsgemeinschaft (KAG) war er Mitglied des Beueler Gemeinderates und kümmerte sich hier vor allem um sozial- und gesundheitspolitische Fragen. Er war am 16.2.1922 für den ausgeschiedenen August Theis in den Rat nachgerückt und wurde im März 1924 wiedergewählt. Bei diesen Wahlen konnte die KAG, die ihre Stimmen fast ausschließlich in Orte Beuel erhielt und dort nach dem Zentrum zweitstärkste Partei war, ihr Ergebnis gegenüber den vorherigen Wahlen steigern - sicher nicht zuletzt aufgrund der Popularität ihres Kandidaten Dr. Weis. 1929 bewarb dieser sich für die KAG erneut um einen Sitz im Gemeinderat bzw. für die DDP um einen Sitz im Kreistag, doch angesichts fortschreitender Polarisierung im politischen Leben gab es unter den Wählern kaum noch Unterstützung für liberale Demokraten.

Dr. Weis war auch im Vorstand der Beueler Synagogengemeinde aktiv und vertrat diese mehrfach bei öffentlichen Veranstaltungen. Der beliebte und im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehende jüdische Arzt war den Nationalsozialisten besonders verhasst. Sein Haus und seine Garage an der Brückenrampe wurden schon früh das Ziel von antisemitischen Schmieraktionen.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verschlechterte sich auch die wirtschaftliche Situation von Dr. Weis. Aufgrund von Boykottaufrufen und gezielter Einschüchterung seiner Patienten lief seine Praxis von Monat zu Monat schlechter. Betrugen die Einnahmen aus seiner ärztlichen Tätigkeit im Jahr 1932 noch ca. 13.700 RM, so sanken sie 1933 auf ca. 10.000 RM und gingen danach noch weiter zurück. Dennoch dachte er nicht daran, seine ihm treu gebliebenen Patienten zu verlassen und zu emigrieren.

Im Juli 1938 wurde ein Gesetz erlassen, das jüdischen Ärzten ab dem 1. Oktober die Approbation und somit die wirtschaftliche Existenz entzog. Offenbar hat sich Dr. Weis daraufhin entschlossen, seine Praxis an einen Kollegen zu verkaufen. In der Nacht zum 10. November (der Reichspogromnacht) wurde er gemeinsam mit anderen Beueler Juden festgenommen und zusammen mit dem Kaufmann Alfred Herz für mehrere Wochen vermutlich ins KZ Dachau verschleppt, wo die Häftlinge durch Misshandlungen und Demütigungen zur sofortigen Emigration gezwungen werden sollten.

Als am 13. Mai 1939 das deutsche Passagierschiff „St. Louis“ mit 930 Juden an Bord den Hamburger Hafen verließ, befanden sich auch Dr. Weis und seine Gattin unter den Passagieren. Drei Tage zuvor hatten sie Beuel verlassen. Wie auch die anderen Flüchtlinge hatte er für viel Geld bei der Einwanderungsbehörde Kubas - damals eines der wenigen Länder, das noch Flüchtlinge aufnahm - Einreisevisa gekauft. Doch als das Schiff in den Hafen von Havanna einlaufen wollte, weigerten sich die dortigen Behörden, die Passagiere an Land zu lassen. Auch andere Staaten (z.B. die USA) lehnten es ab, die Flüchtlinge aufzunehmen. Ihnen drohte das Schicksal, wieder nach Deutschland zurückgebracht zu werden, wo viele von ihnen sofort ins KZ einliefert worden wären. In dieser Situation bildete sich an Bord der „St. Louis“ ein anfangs fünfköpfiges Passagierkomitee, dem auch Dr. Weis, der erfahrene Beueler Kommunalpolitiker, angehörte. Das Komitee hatte die Aufgabe, mit Regierungen und Behörden in aller Welt Kontakt aufzunehmen, um doch noch ein Asyl für die Menschen auf dem Schiff zu finden. Zugleich bemühte es sich, die Passagiere von Verzweiflungstaten abzuhalten. Dr. Weis, der auch als Protokollführer fungierte, zeichnete sich in der Arbeit des Komitees durch seine nüchterne Sachlichkeit aus.

Durch die Bemühungen des Passagierkomitees und der jüdischen Hilfsorganisationen gelang es, kurz vor Rückkehr der „St. Louis“ nach Hamburg die Zusage von vier westeuropäischen Staaten zur Aufnahme der Flüchtlinge zu erhalten. Dr. Weis und seine Frau gehörten zu den Glücklichen, denen Großbritannien ein sicheres Asyl bot.

Vermutlich wurde Dr. Weis zu Beginn des Weltkrieges von den Briten kurzzeitig als feindlicher Ausländer interniert. Ab Oktober 1941 arbeitete er im Rockwood Krankenhaus in der nordenglischen Hafenstadt Blackpool. Sein Einkommen dort war allerdings sehr gering, so dass das ehemals wohlhabende Ehepaar, das durch die Flucht fast seinen gesamten Besitz verloren hatte, unter sehr bescheidenen Bedingungen lebte. Am 15. Oktober 1952 ist Dr. Weis in Cardiff (Wales) gestorben, ohne Beuel jemals wiedergesehen zu haben.

Erhard Stang

 

Quellen und Literatur:

Bücher, Johannes: Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Beuel, Beuel 1965.

Stadtarchiv Bonn: Meldekartei Beuel.

Zu Dronk:[ Be 1061]; Patientenkartei des LKH Bonn.

Zu Goldreich: [Be 113, Be 114 Be 309, Be 1003, Be 1056, Be 1343, Pr 20/297].

Zu Sternschein: [Be 1053, Be 1061]; Gedenkbuch des Vereins An der Synagoge.

Zu Dr. Weis: [Be 113, Be 114, N 1985/1214]; G. Thomas/M. Wittes: Schiff der Verdammten, Zürich 1976

(Die in eckige Klammern gesetzten Siglen beziehen sich auf Akten des Stadtarchivs Bonn.)

GA Bonner General-Anzeiger

BeZ Beueler Zeitung

RhV Rheinisches Volk